Unser Anliegen:
Eine Nacht, in der der wir uns solidarisch erklären mit den Menschen in Idomeni (Ειδομένη in Griechenland): Menschen aus Eritrea und Irak, Familien aus Afghanistan und Syrien, Kinder aus Pakistan und Iran. Krieg, Terror, Unterdrückung, Vergewaltigung und Ausbeutung haben sie hinter sich gelassen und hoffen auf friedliche Wege und eine sichere Unterkunft. Nun versperren ihnen Stacheldrahtzäune und viele Grenzpolizisten den Weg.
Wir, die wir hinter dem Zaun leben, wollen in der Nacht vom 19. auf den 20. März (Frühlingsanfang/Newroz) nicht nur mahnen und protestieren, sondern auch selbst ein winziges Gefühl von der anderen Seite des Zauns, der kalten und dunklen Campnacht bekommen.
Der 19. März ist gleichzeitig der bundesweite Aktionstag „Hand in Hand gegen Rassismus“. In manchen Kreisen ist „Flüchtling“ schon zu einem Schimpfwort geworden, ein Kampfbegriff, der einer rassistischen Abwehrhaltung dient. Dagegen senden wir ein winziges Zeichen der Wärme und der Humanität in ein Europa, das beginnt Festungsmauern zu errichten: Mauern, die trennen zwischen arm und reich – zwischen Krieg und Frieden – zwischen Terror und Waffenexport – zwischen Krankheit und Gesundheit –zwischen Schicksal und Zukunft – zwischen Tod und Leben. Stellvertretend für alle Menschen, die noch an ein gemeinsames und menschenfreundliches Europa glauben, rücken wir in der Solidaritätsnacht zusammen. Tränengas und Stacheldraht darf nicht die Antwort auf die europäische Herausforderung sein!
Zur Organisation:
Wir bitten alle, die sich beteiligen wollen, selbst kleine (Iglo=Zelte (Schlafsäcke, Decken und Isomatten) mitzubringen. Für uns wäre es hilfreich, wenn man sich kurz vorher anmeldet (06441/42493 oder schaefer@dom-wetzlar.de).
In der Nacht wird es kalt werden. Wir werden für ein kleines Lagerfeuer und Tee sorgen. Toiletten sind zu Fuß schnell erreichbar. Die gemeinsame Nacht endet mit einem gemeinsamen Frühstück. Für die Teilnehmer*innen entstehen keine Kosten. Junge Menschen unter 18 Jahren sollte eine schriftliche Erlaubnis der Erziehungsberechtigten vorzeigen.
Die Übernachtung ist kein „muss“! Wir freuen uns über jeden und jede, die zu der Mahnwache kommen oder in den Dom.
Hintergrundinformation:
14.03. 2015 – Aktuell:
Aus dem provisorischen Flüchtlingslager im griechischen Idomeni sind mehrere Tausend Menschen aufgebrochen, um eine alternative Route ins Nachbarland Mazedonien zu finden. Nach einem acht Kilometer langen Marsch durchquerten sie mit ihren Habseligkeiten und Kinderwagen einen Fluss auf griechischer Seite, dessen anderes Ufer noch etwa 500 Meter von der mazedonischen Grenze entfernt ist. Bei der Querung des Flusses halfen junge Männer schwächeren Flüchtlingen, damit diese nicht von der Strömung mitgerissen wurden. Ziel ist das nahe gelegene Grenzdorf Chamilo, rund zwei Kilometer südwestlich von Idomeni.
Blüm übernachtet bei Flüchtlingen in Idomeni
Balkanroute geschlossen
Später zogen griechische Bereitschaftspolizisten auf und teilten den Menschen mit, dass ihr Vorhaben sinnlos sei: Auf mazedonischer Seite würden die Flüchtlinge bereits erwartet und von den dortigen Behörden wieder zurück über die Grenze nach Griechenland gebracht. Die Bereitschaftspolizisten versuchten zwar, die Gruppe aufzuhalten, ließen sie dann aber passieren, ohne Gewalt anzuwenden. Die Flüchtlinge stammen vorwiegend aus Syrien, dem Irak und Afghanistan.
Das Flüchtlingslager in Idomeni ist völlig überfüllt, die mindestens 12.000 Menschen dort leben unter unzumutbaren Zuständen. In den vergangenen Tagen setzte Dauerregen den Flüchtlingen zusätzlich zu.
Mazedonien liegt auf der sogenannten Balkanroute, über die bereits zahlreiche Flüchtlinge in Aufnahmeländer wie Deutschland gelangten. Vor zweieinhalb Wochen führten Mazedonien und weitere Länder entlang der Balkanroute aber eine Tagesobergrenze für die Einreise von Flüchtlingen ein. Mittlerweile ist die Balkanroute de facto vollständig geschlossen.
Quelle: http://www.heute.de/
Der Rechtsstaat steht auf dem Spiel
Von GÜNTER BURKHARDT
Die Zahl der in Deutschland und Europa ankommenden Flüchtlinge muss gesenkt werden, koste es was es wolle: Nach diesem Prinzip handelt die Politik. Die Stimmung im Land wurde in den letzten Wochen und Monaten zielstrebig zum Kippen gebracht: Noch im September 2015 hießen zehntausende von Menschen und auch namhafte Politiker Flüchtlinge in Deutschland willkommen. Inzwischen wird Rechtspopulisten immer mehr das Feld überlassen, flüchtlingsfeindliche Positionen gewinnen an Zustimmung – auch in demokratischen Parteien.
Zugleich sind Zehntausende Menschen – Familien, Frauen, Kinder, Alte – auf der Flucht vor Krieg, Terror und Verfolgung. Bei Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze sitzen sie in Regen und Schlamm und notdürftigen Unterkünften fest, vor unser aller Augen. Sie sind verzweifelt, viele sind krank. Es ist eine humanitäre Katastrophe mitten in Europa. Dabei ist schon lange bekannt, dass es in Griechenland keine ausreichende Grundversorgung für Flüchtlinge gibt, von einem Asylsystem, das den Menschen Schutz und Perspektive bietet, ganz zu schweigen. Die Konfliktherde in Syrien, Irak und Afghanistan eskalieren, aber das interessiert nicht mehr. Die dramatische Situation, warum Menschen fliehen, gerät immer mehr aus dem Blick.
PRO ASYL warnt vor geplantem Deal mit der Türkei:
Der Deal entbehrt jeglicher rechtlichen Grundlage, ein Bruch mit den Menschenrechten droht
Die aktuelle Entwicklung der Flüchtlingspolitik und die Ergebnisse des Gipfels der Staats- und Regierungschefs vom 7. März 2016 werden von PRO ASYL und anderen Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert: Der von der Türkei beim EU-Gipfel gemachte Vorschlag ist nicht annehmbar und stellt einen Versuch dar, das individuelle Asylrecht abzuschaffen. Er ist unvereinbar mit der Genfer Flüchtlingskonvention oder der Europäischen Menschenrechtskonvention. Zu Recht hat der UN-Hochkommissar für Menschenrechte Said Raad al-Hussein die Europäische Union aufgefordert, das geplante Flüchtlingsabkommen mit der Türkei zu überdenken. Nach seiner Einschätzung kann die Vereinbarung mit der Türkei über die Rückführung von Flüchtlingen aus Griechenland zu „kollektiven und willkürlichen Ausweisungen führen, die illegal sind“. Internationales und europäisches Recht dürfe nicht gebrochen werden: „Jedwede Rückführung von Menschen darf nur in Übereinstimmung mit internationalen Menschenrechtsstandards erfolgen“, sagt der Hochkommissar für Menschenrechte.
Die Menschenrechtsorganisationen PRO ASYL, Amnesty International und viele andere äußern fundamentale Bedenken: Durch den Deal wird das Leben eines Eritreers, der vor dem Militärregime flieht, oder das Leben eines aus dem Irak oder Afghanistan Fliehenden gegen das Leben eines Syrers ausgespielt. Nicht nur Syrer sind Flüchtlinge. Alleine die Herkunft soll bestimmen, ob ein Mensch Schutz findet. Dieser Vorschlag ist menschenverachtend. Selbst wenn die Türkei als „sicheres Drittland“ behandelt würde, müssten Schutzsuchende die Möglichkeit haben, in einem Verfahren auf europäischem Territorium darzulegen, dass die Türkei in ihrem Fall nicht sicher ist (Art. 38 Abs. 2 Buchstabe c) RL 2013/32/EU). Diese Sorge bringt auch der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen Grandi zum Ausdruck: „I am deeply concerned about any arrangement that would involve the blanket return of anyone from one country to another without spelling out the refugee protection safeguards under international law“.
Die Türkei ist nach Art. 38 oder Art. 39 der Verfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU) kein „sicherer Drittstaat“. Die dort genannten Kriterien werden von der Türkei weder auf dem Papier noch in der Praxis erfüllt. Die Genfer Flüchtlingskonvention hat die Türkei nur mit einem geographischen Vorbehalt ratifiziert, eine uneingeschränkte Ratifizierung ist jedoch eine der Voraussetzungen (Art. 39 Abs. 2 Buchstabe a) RL 2013/32/EU). Zwar können nichteuropäische Schutzsuchende einen sogenannten „bedingten Flüchtlingsstatus“ bekommen, dieser ist jedoch einem Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention gegenüber nicht gleichwertig (z. B. bei der Familienzusammenführung). Syrische Flüchtlinge können einen vorübergehenden Schutzstatus erlangen. Auch ihnen bleibt der Zugang zu grundlegenden Rechten verwehrt. Auch in der Praxis wird die Türkei dem Anspruch eines „sicheren Drittstaats“ für Flüchtlinge nicht gerecht. Dies wird an denen durch Amnesty International und Human Rights Watch dokumentierten Verletzungen des non-refoulement-Gebotes deutlich, bei denen die Türkei syrische und irakische Schutzsuchende in ihre Heimatländer abschiebt, obwohl ihnen dort Gefahr für Leib und Leben droht.[1] Die Einhaltung des refoulement-Verbotes ist jedoch die Voraussetzung eines „sicheren Drittstaats“ (Art. 37 Abs. 1 Buchstabe c) RL 2013/32/EU).
Zu diesem Ergebnis kommt auch das Gutachten des Asylrechtsexperten Dr. Reinhard Marx sowie eine Analyse der Organisation StateWatch. Beide kommen zu dem Urteil, dass die Türkei kein sicherer Drittstaat im Sinne des Europarechts und Völkerrechts für Flüchtlinge ist. Etwaige Rücküberstellungen in die Türkei würden die Europäische Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention verletzen.
Sichere und legale Zugangswege für syrische Flüchtlinge müssen schnellstmöglich geschaffen werden. Auch ist es dringend geboten, dass die europäischen Staaten regelmäßig und in einem großen Umfang Flüchtlinge aus den Nachbarländern Syriens aufnehmen sowie das Resettlement-Programm der Vereinten Nationen unterstützen. Ein solch begrüßenswertes Engagement ersetzt jedoch nicht das individuelle Menschenrecht auf Asyl, das nicht von der Staatsangehörigkeit Schutzsuchender abhängt.
Zudem besteht die Notwendigkeit, die Türkei bei der Aufnahme der über drei Millionen Flüchtlinge finanziell zu unterstützen und durch Aufnahmeprogramme zu entlasten. Der Vorschlag der Türkei, dass die EU für jeden aus Griechenland zurückgeführten Asylsuchenden einen syrischen Flüchtling aufnimmt, ist jedoch nicht akzeptabel. Nicht nur Syrerinnen und Syrer sind schutzbedürftig. Die Schutzbedürftigkeit der afghanischen Asylsuchenden, die in Deutschland nach inhaltlicher Entscheidung zu 80 Prozent anerkannt werden, darf nicht pauschal infrage gestellt werden.
In der Abschlusserklärung des EU-Gipfels wird auch auf den NATO-Einsatz Bezug genommen. Die Priorität eines jeden Einsatzes in der Ägäis und im Mittelmeer sollte die Rettung von Menschenleben sein. In griechischen Gewässern gerettete Personen dürfen nicht in die Türkei zurück gebracht werden. Im Hinblick auf den Einsatz der Bundeswehr gibt es zudem erhebliche Unklarheiten. Im Einsatzbefehl muss klargestellt werden, dass Flüchtlinge in überfüllten Schlauchbooten sich in Seenot befinden und von Bundeswehreinheiten gerettet und auf griechisches Festland gebracht werden müssen. Geschieht dies nicht, werden Rechtsbrüche in Kauf genommen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat im Hirsi-Urteil am 23.Februar 2012 entschieden, dass europäische Staaten die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) immer dann beachten müssen, wenn sie effektive Hoheitsgewalt über Betroffene ausüben – also auch außerhalb der europäischen Gewässer.
PRO ASYL schätzt die aktuelle Menschenrechtslage in der Türkei als im höchsten Maße besorgniserregend ein. Regierungskritische Zeitungen werden unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt, Journalisten inhaftiert, der Krieg gegen die kurdische Zivilbevölkerung geführt. Auf dem Gipfel vom 7. März wurde ausweislich der Erklärung lediglich die Situation der Medien in der Türkei „erörtert“, jedoch war von Kritik nichts zu vernehmen. Im Gegenteil: Die EU hat Verständnis für die Einrichtung von sogenannten „Sicherheitszonen“ für Flüchtlinge in Syrien signalisiert. Dass die Türkei sich in einen sich ausweitenden Bürgerkrieg gegen ihre kurdische Bevölkerung verstrickt und in diesem Zusammenhang auch in Syrien militärische Optionen verfolgt, ist extrem gefährlich. Der Türkei geht es darum zu verhindern, dass autonome Gebiete unter kurdischer Selbstverwaltung entstehen. Die Gefahr ist groß, dass in Syrien befindliche Flüchtlinge missbraucht werden und ihre Schutzbedürftigkeit als Legitimation für militärisches Engagement dient.
Das Übereinkommen mit der Türkei darf nicht in dieser Form zustande kommen. Nötig wäre vielmehr eine Öffnung der syrisch-türkischen Grenze für Flüchtlinge. Dazu muss die EU ihre Bereitschaft erklären, vor der syrisch-türkischen Grenze festsitzende Flüchtlinge aufzunehmen. Daneben muss in großem Stil ein Resettlement, d.h. die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Türkei seitens der EU, aber auch von Staaten wie den USA, organisiert werden. Die Menschenrechte an der EU-Außengrenze müssen gewahrt werden und es darf keine Zurückweisungen in die Türkei geben. Die EU muss für eine solidarische Flüchtlingsaufnahme sorgen. Griechenland ist nicht das Flüchtlingslager Europas. Dort ist weder ein Asylverfahren noch eine Versorgung für Zehntausende von Schutzsuchenden möglich. Die humanitäre Katastrophe muss abgewendet werden.
[1] Amnesty International, Europe’s Gatekeeper: Unlawful Detention and Deportation of Refugees from Turkey, 16. Dezember 2015, abrufbar unter: https://www.amnesty.org/en/documents/eur44/3022/2015/en/; Human Rights Watch, Turkey: Syrians Pushed Back at the Border, 23. November 2015, abrufbar unter: https://www.hrw.org/news/2015/11/23/turkey-syrians-pushed-back-border.