Bericht über die Aktion „Pro Familienmitglieder-Nachzug“ bei Flüchtlingen auf dem Eisenmarkt
„Nehmen Sie sich bitte einen Moment Zeit, um sich über Einzelschicksale hier lebender Flüchtlinge zu informieren, die das Weihnachtsfest nicht im Kreis der Familienangehörigen verbringen können.“
Diesen Appell vernahmen die zumeist mit Einkäufen beschäftigten Passanten am Eisenmarkt über Megaphon vom katholischen Pastoralreferenten Joachim Schaefer. Er warb mit einem Dutzend Gleichgesinnten und in Anwesenheit von direkt Betroffenen für eine großzügige Handhabung des Nachzugs von im Herkunftsland verbliebenen Familienangehörigen. Eine Figurengruppe mit dem Stern von Bethlehem symbolisierte die Analogie zu dem Geschehen vor rund 2000 Jahren. „Nächste Woche sollen wieder Menschen aus dem Lahn-Dillkreis ins afghanische Kriegsgebiet abgeschoben werden“, war von Flüchtlingshelfern zu erfahren. Kanzlerin Merkels Appell „Wir schaffen das!“ werde mit dieser Abschiebepraxis faktisch fallengelassen.
Der 51-jährige Syrer Rafik Bakdash ergreift als direkt Betroffener das Wort: „Ich freue mich, dass ich dem furchtbaren Bürgerkrieg in meinem Land entkommen bin und seit 5 Monaten in der Hintergasse in Wetzlar eine sichere Bleibe habe. Meine Frau und die beiden Kinder sind noch in Damaskus. Wir würden gerne gemeinsam in Deutschland einen Neustart machen“. Der pfiffig und sprachbegabt auftretende neunjährige Samy hatte aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzt. Er lebt mit seiner Mutter, seinem neunzehnjährigen Bruder und einer siebzehnjährigen Schwester in Naunheim und besucht dort die Grundschule.
Allen gemeinsam ist der dringende Wunsch, dass auch der Vater zum Jahresausklang eine Einreisegenehmigung nach Deutschland erhält: „Es ist gut, in Deutschland zu sein. Aber es schmerzt, wenn der Vater nicht dabei ist“, wird die Mutter von ihrem Filius übersetzt. Krista Eulberg ist Mitglied bei der Flüchtlingshilfe Mittelhessen und betätigt sich bei den Maltesern als „Integrationslotse“: „Als gelernte Erzieherin weiß ich, wie wichtig es ist, dass Familien zusammen sind.“ Pfarrer Wolfgang Grieb erinnerte an die christliche Weihnachtsgeschichte, deren zentraler Gegenstand eine auf der Flucht befindliche junge Familie sei: „In Hermannstein gelingt uns die Integration von Flüchtlingsfamilien recht gut. Wir dürfen mit unseren Anstrengungen für ein menschenfreundliches Miteinander nicht nachlassen. Weihnachten ist das Fest der Familie.“
Die Liedermacherin „Nette“ Rudert bekräftigte diese Botschaft mit zur Gitarre gesungenen Liedern. Der 63-jährige Andreas Späth aus Leun hat lange in Ländern wie Tansania als Entwicklungshelfer gearbeitet. Schwerpunkt der von seinem ehemaligen Arbeitgeber „World Vision“ koordinierten Projektarbeit sind Ausbildungsprogramme für die geschätzt weltweit 600 Millionen arbeitslosen Jugendlichen und die Vergabe von Kleinkrediten zur Existenzgründung: „Afrikanische Menschen haben in aller Regel viel Familiensinn. Bauen wir also keine bürokratischen Hürden beim Nachzug von Familienangehörigen auf! Es sind bei uns produzierte Waffen, mit denen in Afrika Kriege geführt werden. Es ist zynisch, die Opfer von Krieg und Bürgerkrieg dann ihrem Schicksal zu überlassen.“
Mit einem auffallend roten Schal gekleidet ist der Ehringshausener Sozialdemokrat Sascha Müller (25), bei dem Passanten der Forderung „Geflüchtete Familien gehören zusammen“ mit ihrer Unterschrift Nachdruck verleihen können. Neben dem kurzen Text ist die Krippen-Szene mit dem Jesus-Knaben zu sehen. Esel, Schaf und eine Engelsgestalt sind bei der Geburt des Gottessohnes zugegen. Marias Lebensgefährte, der Schreiner Josef, hingegen fehlt. Neben dessen weißer Silhouette heißt es „… er fehlt“. Die Unterschriften werden dem am Eisenmarkt zeitgleich mit Christstollen-Verkauf beschäftigten CDU-Bundestagsabgeordneten H.J. Irmer und – in Kopie – dessen Kollegin Dagmar Schmidt (SPD) überreicht.