Nicht schon wieder „für´s Vaterland“!
Einige persönliche Gedanken zum türkischen Nationalstolz in Deutschland
Nationalistische Querfront
Bin ich hier bei der AFD oder sogar NPD gelandet? Wird hier nach Blutszugehörigkeit, Volkszugehörigkeit oder nach Staatsbürgerschaft eingestuft?
Alles wird uns verziehen werden, meint Hz. Ali: Sexueller Missbrauch, Geldwäsche, Mord, Menschenhandel, Drogengeschäfte, Vergewaltigung, Diebstahl, etc.? Aber nur so lange wir keine Vaterlandsverräter sind! Mein Herz muss für die Nation schlagen, dann wird´s schon wieder!?
Ein Vaterland, ein Volk, ein Staat, eine Fahne …. In deutscher Übersetzung und mit deutscher Fahne kommt einem alles so bekannt vor.
Wann ist jemand ein Vaterlandsverräter?
Die Neonazis und Pegida-Anhänger*innen rufen auf der Straße: „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!“ Sie bezeichnen die derzeitige Regierungspolitiker*innen als Volksverräter*innen.
1933 wurden die Menschen so bezeichnet, die die Demokratie retten wollten oder aus der deutschen Gesellschaft eliminiert werden sollten. Vor vier Jahren wurde der SPD mal Vaterlandsverrat vorgeworfen. Sigmar Gabriel hat so geantwortet: https://www.youtube.com/watch?v=rv1G5FD-aeM
Muss man sich das jetzt auch auf türkisch anhören: „Wer die Türkei nicht liebt, soll die Türkei verlassen?“, bzw. „Wen Erdogan raus schmeißt, darf Deutschland nicht aufnehmen?“
Wie kann ich heutzutage „mein Vaterland verraten“?
Die Umwelt verschmutzen, Krieg und Hass gegen andere Staaten provozieren, Staatsgehemnisse ausplaudern, illegale Geschäfte machen, das Sozialamt belügen, meine Mitmenschen ausbeuten oder krank machen, Steuern hinterziehen, Minderheiten unterdrücken, Mobben oder Rufmordkampagnen unterstützen, Menschen ohne rechtsstaatliches Gerichtsurteil inhaftieren, Doping unterstützen, Waffen exportieren, etc..
Oder reicht es schon, den Präsidenten zu kritisieren oder die Freilassung der politischen Gefangenen zu fordern?
Das ist unverzeihlich?
Kennt der Heilige Ali und sein barmherziger Gott keine Gnade, wenn es um das eigene Land/Volk/Nation geht!?
Wer sind die neuen Vaterlandsverräter*innen?
Cem Özdemir, Mürvet Öztürk, Walter Steinmeier, Volker Beck, Joachim Gauck, Can Dündar, Sevim Dagdelen, Asli Erdogan und Necmiye Alpay, Selahattin Demirtaş oder Figen Yüksekdağ, Sebastian Kurz oder Martin Schulz?
Was muss ich tun, um das Vaterland zu ehren?
Die Nationalhymne singen, den Erdogan-Schlager mitgrölen, meine Fahne heraushängen, Menschen aus der Gülen-Bewegung anzeigen, Verschwörungstheorien auf mein Herkunftsland beziehen, mich nur als Opfer, aber nie als Täter sehen, meine Ängste und Schwächen als Stärken polieren, eine kurdische Fahne verbrennen, oder sogar die sogenannten „Volksverräter*innen“ angreifen …
Herşeyi affedin ama vatanınıza ihanet edenleri asla affetmeyin! Verzeiht jedem und alles, aber den Vaterlandsverräter verzeiht niemals!
Das animierte Bild (s.o.) zeigt die andere Seite des extremen Nationalismus. Nicht verzeihen heißt in diesem Falle, den sogenannten Volksverräter zu töten. Legitimation von Gewalt im Namen des Vaterlandes, im Namen eines religiösen Vorbildes?
Warum ist der Verrat unverzeihlich?
Ist die Türkei eine heilige Nation, etwas Übernatürliches oder sogar Göttliches? Ich dachte immer, Gott stünde für religiöse Menschen an erster Stelle: der barmherzige Gott, der keine Ländergrenzen kennt. Den Glauben an ein auserwähltes Volk kenne ich eher von einer anderen Religion. Oder findet hier eine Zwangstürkisierung der alevitischen Glaubensrichtung statt?
Wann endet der Verrat und wann beginnt die Zivilcourage, ganz zu schweigen von der Frage, wann ein Aufstand im eigenen Land notwendig ist?
Abū l-Hasan ʿAlī ibn Abī Tālib lebte vor ca. 1400 Jahren
Der Satz von Hz. Ali muss ja wohl im 7. Jahrhundert, d.h. zu Lebzeiten des Propheten gefallen sein. Eine Quelle wurde nicht angegeben. Hz. Ali war sicherlich kein Türke, sondern Araber. Ob er sich selbst einer Nation, einem Vaterland oder einem Staat zugehörig fühlte, bezweifle ich. Jedenfalls wurde der arabische Begriff für „Vaterland“ (وطن أسلاف المرء) sicherlich anders benutzt und verstanden, anders als im Zeitalter des Nationalismus, d.h. ab dem 19. Jahrhundert..
Erziehung zum Nationalismus?
Warum dieses Zitat von Hz. Ali auf Facebook am 13. November 2016 . Meiner Meinung nach wird hier ein mittelalterliches Zitat nationalistisch, völkisch instrumentalisiert. Die „Volkseinheit, die Nation“ soll herauf beschworen werden. Die Jugend soll nationalistisch getrimmt werden. Treu nach dem türkischen Eid, den viele als Kinder tausendmal wiederholt haben und der heute noch im Unterricht gelernt wird:
„Türküm, doğruyum, çalışkanım. İlkem, küçüklerimi korumak, büyüklerimi saymak, yurdumu, milletimi, özümden çok sevmektir. Ülküm, yükselmek, ileri gitmektir. Ey büyük Atatürk! Açtığın yolda, gösterdiğin hedefe durmadan yürüyeceğime ant içerim. Varlığım Türk varlığına armağan olsun. Ne mutlu Türküm diyene!“
„Ich bin Türke, ehrlich und fleißig. Mein Gesetz ist es, meine Jüngeren zu schützen, meine Älteren zu achten, meine Heimat und meine Nation mehr zu lieben als mich selbst. Mein Ideal ist es aufzusteigen, voranzugehen. O großer Atatürk! Ich schwöre, dass ich unaufhaltsam auf dem von dir eröffneten Weg zu dem von dir gezeigten Ziel streben werde. Mein Dasein soll der türkischen Existenz ein Geschenk sein. Wie glücklich derjenige, der sagt ,Ich bin Türke‘!“
Wollt Ihr wirklich dieses Credo Euren Enkelkindern weiter eintrichtern. Soll die Vaterlandsliebe weiter im heimlichen Lehrplan stehen?
Ein Vielfältiges Einwanderungsland
Heute findet in Berlin der 9. Integrationsgipfel statt, wo ca. 50 Migrantenorganisationen und Islamgemeinden die Änderung des deutschen Grundgesetzes fordern werden:
Aufnahme eines neuen Staatsziels ins Grundgesetz als Art. 20b: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein vielfältiges Einwanderungsland. Sie fördert die gleichberechtigte Teilhabe, Chancengerechtigkeit und Integration aller Menschen.“ Dadurch soll in der Verfassung verankert, dass Deutschland ein vielfältiges Einwanderungsland ist und alle staatlichen Ebenen zur Umsetzung dieses Staatsziels verpflichtet sind.
Vielfältiges Einwanderungsland, das gefällt mir – auf jeden Fall besser als Nation oder Vaterland!
Ich hoffe nur, dass es nicht bei einer reinen Forderung an den Staat bleibt, sondern dass jede Gruppierung, jede Organisation und jede religiöse Gemeinschaft sich das Ziel zu eigen macht, die Vielfältigkeit der Kulturen, der Geschlechter und der Lebensformen zu respektieren und zu fördern.
Joachim Schaefer