Neue Heimat für Asylbewerber: Flüchtlinge sind in diakonische Arbeit integriert Wetzlar (wü) Asylbewerber und Flüchtlinge aus der Region helfen verstärkt bei der Arbeit in diakonischen Projekten der Evangelischen Kirchengemeinde Niedergirmes mit und finden zusehends Anschluss in die Gemeinde. Bei der Wetzlarer Tafel übernehmen sie Dienste vom Ausladen der LKW, über Einsortieren von Waren bis hin zur Ausgabe von Lebensmitteln. Damit erhalten sie ein „Tagesgerüst“, um nicht den gesamten Tag auf etwas zu warten, das sie nicht dürfen: arbeiten. „Wir sind sehr zufrieden mit der Arbeit der Flüchtlinge“, so Bonita Schneider, Gruppenleiterin im Tafelladen Bahnhofstrasse, „sie sind pünktlich, aufmerksam und freuen sich, neue Menschen kennenzulernen“. „Und ganz nebenbei übersetzen sie bei Landsleuten, erklären das „Tafelsystem“ und sind für die gesamte Mitarbeiterschaft interkulturelle Vermittler“, ergänzt Katharyna , Gruppenbegleiterin im Tafelladen Niedergirmes. Wetzlarer Tafel Die Wetzlarer Tafel hat damit erfolgreich auf Flüchtlinge und Asylbewerber reagiert und sie in ihre Arbeit eingebunden. Zusätzliche interkulturelle Schulungen oder die Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Flüchtlingshilfe, der Länderabend mit den Betroffenen organisiert, vertiefen für Mitarbeiter und Kunden der Wetzlarer Tafel das Wissen über Herkunft, Schönheit und Probleme der Länder, aus denen die Flüchtlinge kommen. Derzeit arbeiten 12 Personen aus dieser Zielgruppe bei der Wetzlarer Tafel mit. „An einer Nachmittagsöffnungszeit kann es sich schon einmal ergeben, dass ein Team von Flüchtlingen alleine die Ausgabe von Lebensmitteln händelt. Das hat für großes Erstaunen aber auch für große Akzeptanz bei den Abholern von Lebensmitteln geführt“, so Bonita Schneider. Als „Entlohnung“ erhalten sie vom Lahn-Dill-Kreis 1,05 Euro für maximal 100 Stunden Einsatzzeit im Monat. Das ist für manche eine Bus-Monatskarte oder ein Anteil an einem Deutschkurs, den viele von ihnen gerne wahrnehmen möchten, aber mit ihren abgesenkten Asylbewerberleistungen sich sonst einfach nicht leisten können. Streetworker-Projekt Auch beim Freibad-Streetworker-Projekt arbeiten bereits im zweiten Jahr Asylbewerber mit. Sie haben eine gewachsene Kompetenz, wenn sie von ihren Erfahrungen aus Krieg, Flucht und Folter berichten. „Ich brauchte nur zu fragen, ob Mahmood bei einem Projekt mitarbeiten wolle, in dem es um Streitschlichten ohne Gewalt geht“, so Tobias Stute, derzeitiger Leiter des Projektes, „und ein kräftiges Nicken und die Aussage „für Frieden ohne Gewalt – immer“ besiegelte das Ehrenamt im vergangenen Jahr“. In diesem Jahr haben bereits vier junge Flüchtlinge beim Streitschlichten im Wetzlarer Freibad „Domblick“ mitgearbeitet – nicht ohne vorher ein halbes Jahr Schulungen absolviert und das Streitschlichten gemeinsam mit ihren KollegInnen gelernt zu haben. Gemeinde aus Eritrea Den Tafel-Laden in Wetzlar nutzen auch etwa 100 eritreischen Flüchtlinge zu ihrem regelmäßigen Treffen. Sie kommen aus dem gesamten Lahn-Dill-Kreis zusammen, bereiten gemeinsame Essen vor, tauschen sich aus – und feiern Gottesdienst. Da sie alle Christen sind, verbindet sie die Glaubens- Gemeinschaft und erinnert sie an ihre Heimat. Zwei von ihnen sind Vorbeter, die in einer für fremde Zuhörer ungewohnten Litanei nach orthodoxem Glauben ihre Gebete verrichten. Unterstützt werden sie dabei von Mönchen aus dem koptischen Kloster in Kröffelbach, die auch die Ausbildung der Beter übernehmen. In den vergangenen Tagen lud einer von ihnen die gesamte Gruppe ein. Er feierte seinen ersten Geburtstag. Vor einem Jahr war er bei dem Schiffsunglück vor Lampedusa einer der wenigen, die gerettet werden konnten, während über 300 Menschen im Mittelmeer den Tod fanden. Aus Dank darüber hatte er sich bei einem Freund Geld geliehen und ein gemeinsames Essen organisiert, damit alle an seinem Geburtstag teilhaben konnten. Gelingende Integration „Wir freuen uns, das die Integration der Flüchtlinge und Asylbeweber auf diese Weise gelingt,“ freut sich Diakon Harald Würges, Leiter der diakonischen Projekte und gleichzeitig Ansprechpartner des Arbeitskreises Flüchtlingshilfe, „noch besser wäre es, sie könnten sofort eine Arbeitsstelle suchen und ihre vielfältigen Gaben und Fähigkeiten hier mit einbringen.“ Im Lahn-Dill-Kreis werden bis zum Jahresende bis zu 1.000 Flüchtlinge erwartet. Sie dürfen erst einmal keine Arbeit aufnehmen, sondern sie müssen ihre Asylverfahren abwarten. Da bietet die Möglichkeit, die der Lahn-Dill-Kreis anbietet, für ein geringes Entgelt ehrenamtlich und gemeinnützig tätig zu sein, ein Schlupfloch, das den Flüchtlingen und den gemeinnützigen Trägern hilft. Dabei wachsen Kontakte und das Selbstwertgefühl – und die Flüchtlinge machen erste Schritte in ihr neues Leben, resümiert Diakon Würges und fordert andere gemeinnützige Einrichtungen auf, auch in dieser Richtung aktiv zu werden und Integration aktiv mitzugestalten. Informationen gibt es bei der Evangelischen Kirchengemeinde Niedergirmes, Diakonische Gemeindeprojekte, Kirchstrasse 07, 35576 Wetzlar, Telefon 01578 32879 00 oder unter h-wuerges@t-online.de. Fotos: privat BU: Über 100 Christen aus Eritrea, die im Lahn-Dill-Kreis leben, treffen sich regelmäßig zu Gottesdienst und gemeinsamen Essen, zum austauschen und berichten im den Räumen des Wetzalrer Tafel-Ladens in der Bahnhofstrasse 7.